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“Widerstand wirkt!” - Rede zum 10jährigen Jubiläum am 16.09.2024
Dörte Hamann mit einem Rückblick und Ausblick für das Aktionsbündnis Trassengeger
Liebe Gäste,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
vor gut 10 Jahren hat für uns Bürgerinitiativen der “Trassenkampf” begonnen.
In meiner Erinnerung an die ersten Monate von 2014 habe ich vor allem die Stimmung entlang der sogenannten Süd-Ost-Passage vor Augen:
Wir waren erstmal einfach wütend. Und wir haben gehandelt.
Wir haben nicht gefragt: “Lässt sich so eine Stromtrasse verhindern?”
Sondern wir haben gesagt: “Der Wald wird gerodet, die Leitung macht uns alles um uns herum kaputt. Das lassen wir uns nicht gefallen!”
Wir haben einfach Nein gesagt.
Und das, obwohl die Planer - das war die Firma Amprion, einer der vier großen Übertragungsnetzbetreiber - behauptet haben: “Ihr könnt nichts machen, die Süd-Ost-Passage ist gesetzt!” Diese Behauptungen waren uns egal. Und das war genau richtig so. Wir sind einfach los, laut, empört und mit Protest und Demos, wo immer es sich angeboten hat. Beispielsweise auf die Veranstaltungen der Übertragungsnetzbetreiber.
Oder:
Wir sind direkt hin zu allen Politikern, die uns eingefallen sind und die gerade auf Wahlkampftour waren. Und die deshalb durchaus offene Ohren für unser Problem hatten. Innerhalb kurzer Zeit war klar: Gegen den Willen der Menschen vor Ort lassen sich keine Leitungen bauen. Und deshalb wurde ein einziges Mal auf politischem Weg ein Moratorium angesetzt, mit dem Ziel, noch einmal über diese Pläne nachzudenken und sie zu überprüfen.
Mit keinem zufriedenstellenden Ergebnis: Außer Kosmetik wurde am Konzept nichts geändert. 2015 wurden Erdkabel anstelle von Freileitungen beschlossen - eine rein politische Entscheidung, keine technische.
Das ist, und es wird immer deutlicher, keine Lösung für das eigentliche Problem: Wir brauchen eine sichere, kostengünstige und umweltverträgliche Energieversorgung auf Basis von Erneuerbaren Energien. Wir sehen nicht, wie das durch den Bau von neuen Übertragungsleitungen gelingen kann.
Das Überprüfen, Hinterfragen, sich mit den Fakten auseinandersetzen - das war die große Herausforderung in all den Jahren. Und diese Herausforderung bleibt bestehen.
Die konstante und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Für und Wider des Stromtrassen-Baus, die bis heute anhält, ist tatsächlich auch der eigentliche Grund, warum wir heute noch hier sind: Wir wollen dazulernen, wir wollen die ergebnisoffene Diskussion. Und wir fordern diese offene Diskussion zum Thema Netzausbau bei allen Teilen der Gesellschaft ein.
Viele von uns haben möglicherweise keine Trasse mehr vor der Haustür. Aber dieser Netzausbau würde uns alle mehr betreffen, als sich viele bislang vorstellen können - wenn er Realität werden würde, was wir aus gutem Grund bezweifeln.
Es hat sich als klug erwiesen, nicht aufzugeben. Denn die Pläne für den überdimensionierten Netzausbau sind höchst fragil, und was Kosten und Zeit betrifft, fliegt den Übertragungsnetzbetreibern derzeit alles um die Ohren.
2022 hätten die ersten großen Projekte fertig sein sollen. Leitungen wie der Südostlink und der Südlink bestehen bislang nur aus einem Fleckenteppich von bauvorbereitenden Maßnahmen und ersten Baustellen. Trotzdem überraschen Tennet, Amprion, 50Hertz und TransnetBW immer wieder damit, wie sie ihr Scheitern der Öffentlichkeit als Fortschritt verkaufen wollen. Wer aber nur ein klein wenig genauer hinschaut, sieht, dass die Übertragungsnetzbetreiber mit ihrem geplanten europäischen “Supernetz” kein Erfolgsmodell verkaufen können.
Wir wollen weiterhin den Finger in diese offenen Wunden legen.
Wir fordern die Politik dazu auf, anzuerkennen, dass sich die Technik disruptiv verändert hat in den letzten Jahren. Dass Speicher längst marktreif sind und dass eine Energiewende ohne Speicher nicht funktionieren kann. Wir fragen bei den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft nach, wie eine sichere Energieversorgung garantiert werden kann, wenn wir uns abhängig machen von weit entfernten Stromquellen, mit Strom, der über eine höchst fragile Infrastruktur zu uns transportiert werden muss. Haben die Verantwortlichen nichts gelernt aus der Sprengung des Nord Stream? Ist die politische Lage in Europa und in der Welt tatsächlich so stabil, dass wir hier in Bayern abhängig machen sollten von Strom aus Nordsee, Ostsee oder gar Nordafrika
Wir fordern die Übertragungsnetzbetreiber dazu auf, die Kosten für den Netzausbau transparent darzulegen. Der Kauf der Firma Tennet durch die Bundesregierung hat nicht funktioniert. Woher sollen die Investitionskosten von rund 327 Milliarden Euro kommen, die für den Bau der Übertragungsnetze benötigt werden? Das Geld fehlt.
Wir fordern die Trassenbefürworter dazu auf, zu hinterfragen, wie sie die Strompreise in den kommenden Jahren stabil halten wollen. Dass dies erkennbar nicht gelingt, zeigt die aktuelle Entwicklung: Die Strompreise sind Anfang 2024 massiv gestiegen, und sie werden auch Anfang 2025 massiv steigen.
Was wir bei all den Fragen, die wir stellen, immer wieder erkennen: Diese Diskussion wird abgelehnt. Mit fadenscheinigen Begründungen:
Das Gift der Trassenbauer, gegen das wir stetig mit guten Argumenten ankämpfen müssen, ist die Behauptung:
“Die Trassen sind gesetzt, das kann man eh nix machen.”
Die Botschaft ist: “Wir reden nur noch über das Wie, nicht über das Ob”. Und: “Erdkabel sind super, damit sieht man keine Trassen” - was falsch ist, und mit den ersten Rodungen der ersten Wälder im letzten Jahr ist das auch den letzten aufgefallen. Das “Da kann man eh nix machen” trifft bei dem ein oder anderen auf offene Ohren, denn es ist eine bequeme Botschaft. Man muss nicht nachdenken, man muss nicht bei Regen zur Demo.
Wir fordern deshalb heute unsere Politikerinnen und Politiker auf, weiter offen zu sein und die Pläne der vier Übertragungsnetzbetreiber zu überprüfen.
Aber auch unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen Verantwortung übernehmen. Vor allem dann, wenn sie sich zum Thema Netzausbau öffentlich äußern wollen, sollten sie sich zuvor gut informieren.
Gerade heute war wieder ein Leserbrief in der Zeitung, der ein Problem treffend aufzeigt: Eine Leserin beschwerte sich darüber, dass “die” Stromtrassen verhindert würden, die ihren Solarstrom aufnehmen sollen. Wohlgemerkt: Sie hat ein Schreiben von der N-ERGIE erhalten, nicht von der Firma Tennet. Es sind die Verteilnetze, die ihren Strom aufnehmen, nicht die Übertragungsleitungen, gegen die wir kämpfen. Es ist aber auch klar, was hier schief läuft: Während in die Übertragungsnetze hunderte von Milliarden vom Geld der Stromkunden gepumpt wird, damit die Höchstspannungstrassen ausgebaut werden, um den zu guten Teilen fossil-atomaren, europäischen Stromhandel immer weiter zu verstärken, wurde nicht ausreichend in den Ausbau der dezentralen Infrastruktur investiert.
Es nützt uns ja nichts, wenn wir den Strom aus PV, der hier in der Region entsteht, in den Mittagsstunden über eine hochgerüstete Juraleitung wegleiten, wenn er ein paar Stunden später fehlt. Deshalb ergeht einmal mehr eine herzliche Einladung an diejenigen, die immer noch meinen, man bräuchte Tennets Übertragungsleitungen für das Gelingen der Energiewende: Kommt zu unseren Infoveranstaltungen. Selbst bei jeder Demo gehen wir fachliche auf das Thema Übertragungsnetzausbau ein.
Liebe Gäste
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die Lage ist tatsächlich ernst:
Die Kosten für den Übertragungsnetzausbau explodieren, sie werden fälschlicherweise der Energiewende in die Schuhe geschoben, und die Energiewende stirbt.
Gerade Bayern hat sich keinen Gefallen damit getan, anstatt auf den Ausbau von Erneuerbaren Energien mit Sonne und Wind auf den Import von Strom aus der Ferne zu setzen - noch dazu bewusst und mit Ansage auch mit Strom aus fossil-atomaren Quellen, was alles andere als der notwendige Energiewechsel hin zu mehr Klimaschutz ist. Das hat zu einem Stillstand geführt, zum Gegenteil der viel beschworenen Technologieoffenheit, und zu einem zunehmenden Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ohne einen konsequenten dezentralen, das bedeutet zellularen, Ansatz ist die Energiewende tot.
Wir werden zum 1. Januar 2025 wieder starke Steigerungen bei den Netzentgelten sehen. Wir laufen beim „Weiter so“ schlicht auf irre teure Energiekosten und eine schwierige Versorgungssicherheit zu. Nicht irgendwann, sondern zeitnah. Für die Versorgungssicherheit sind regionale, auf der Ebene von Landkreisen oder Regierungsbezirken organisierte Systeme, notwendig, mit einem zum zeitgleichen Verbrauch bestmöglichen Technologiemix aus PV, Wind, Biomasse und Speichern - das ist der kosteneffizienteste und schnellste Pfad und der auch den geringsten Netzausbau zur Folge hat.
Um Veränderungen zu bewirken, wenn die Diskussion verweigert wird, bleibt kein anderes Mittel als Widerstand und Protest.
Was kann jeder von uns tun?
Der Kampf "im Kleinen" führt zu großen Veränderungen. Das wird oft unterschätzt. Unser Protest ist kein Strohfeuer. Wir brauchen einen langen Atem und wir haben bewiesen, dass wir einen langen Atem haben. Noch sind die Leitungen, gegen die wir seit 10 Jahren kämpfen, nicht fertiggestellt.
Widerstand klingt in den Ohren mancher Menschen möglicherweise martialisch. Aber das stimmt nicht. Widerstand ist nichts anderes als eine konstruktive Weichenstellung, er schafft Umdenken, damit sinnvolle Veränderungen stattfinden können und ein neuer Weg beschritten wird. Ein Weg, der uns allen hilft und nicht nur ein paar wenigen Profiteuren.
Was wir als “einfache Bürgerinnen und Bürger” weiterhin tun können und tun müssen:
Wir sind nicht bequem.
Wir informieren, wir vernetzen uns.
Wir machen keine Politik vom Sofa aus.
Wir fordern die Politik in direktem Kontakt zum Handeln auf.
Wir sagen nicht: “Wir können ja eh nix machen!”
Wir gehen - auch bei Regen - zur Demo.
Die nächste Demo hier in der Region ist bereits in der Planung, sie findet am 9.11. um 11 Uhr in Ludersheim und Winkelhaid statt.
Ich sehe aber auch mit einer gewissen Sorge auf die kommenden Jahre: Was passiert, wenn politisch nichts passiert?
Wenn kein Umdenken in dieser Frage stattfindet und an dem teuren Stromtrassen-Ausbau festgehalten wird? Es ist erkennbar, dass die Menschen Teil haben wollen an politischen Entwicklungen. Dass sie mitdiskutieren wollen. Wenn das nicht geschieht, führt das zu sozialen Spannungen. Die hohen Strompreise führen zu sozialer Ungerechtigkeit. An diesem Thema führt inzwischen kein Weg mehr vorbei. Günstiger Strom ist ein Grundrecht. Der überdimensionierte Netzausbau ist unmittelbar der Auslöser für die irren Stromkosten.
Deshalb müssen die Leitungen auf den Prüfstand. Und deshalb kann man sich eben nicht damit herausreden, dass der Netzausbau beschlossene Sache ist.
Wir beantworten die Frage “wirkt Widerstand?” mit einem klaren “Ja!”.
Neue Höchstspannungs-Stromtrassen sind eine politische Entscheidung, keine physikalische Notwendigkeit. Eine Stromtrasse nicht zu bauen ist realistisch. Es ist - keine Frage - technisch möglich.
Was Hoffnung macht:
Ich darf hier heute für viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter sprechen. Ich freue mich, dass so viele von euch auch von weiter her gekommen sind. Wir sind ein breites Bündnis, und mich begeistert, mit welcher Zähigkeit und Expertise von so vielen Bürgerinitiativen am Thema Netzausbau weiter gearbeitet wird. Wir haben gemeinsam noch viel vor. Und wir freuen uns über jeden, der neu dazukommt. Es ist wirklich etwas besonderes, dass es gerade bei einem so umstrittenen Thema wie dem Netzausbau gelingt, sehr unterschiedliche Gruppen zusammenzubringen.
Heute sitzt der Bauernverband neben Vertretern des BUND Naturschutz, Mitglieder verschiedenster demokratischer Parteien sind gekommen, Landrat, Bürgermeister…
Wir sind sicherlich nicht immer alle einer Meinung. Aber wichtig ist, dass wir weiterhin um gute Lösungen ringen. Dass wir in der Lage sind, über die Grenzen unserer Kommunen hinaus zu denken und zu erfassen, wohin uns die Pläne für den überdimensionierten Netzausbau führen würden.
Es reicht nicht, zu sagen, “hier wollen wir die Leitung nicht!”.
Wir sehen es jede Woche aufs Neue: Der Klimawandel schlägt zu, es kommt alle paar Wochen zu Extremwetter-Situationen, die unsere Infrastruktur zukünftig immer mehr auf die Probe stellen werden.
Die Zeiten werden politisch unruhiger, die Veränderungen sind fundamental und viel stärker, als man sie 2011, als die Entscheidung für das europäische Meganetz in den obersten Etagen von Brüssel und Berlin getroffen wurden, jemals erwartet hat.
Neue Übertragungsleitungen können politisch verhindert werden.
Und sie müssen verhindert werden!
Deshalb, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter:
Widerstand wirkt!