Jubiläum des Protests gegen Trassenausbau in den Nürnberger Nachrichten

    • Offizieller Beitrag

    Stromtrassengegner: "Die Trassen schaden der bayerischen Wirtschaft"

    11.05.2024 Christian Geist

    Protest Seit zehn Jahren engagieren sich Dörte Hamann und Hubert Galozy gegen den Bau großer Stromtrassen. Was das Paar aus Weißenbrunn antreibt.

    Beleidigungen auf Social Media sind Hubert Galozy und Dörte Hamann (beide 52) gewohnt. Einen Drohbrief hatten sie
    nun erstmals im Briefkasten.

    Anfang 2014 schickt Dörte Hamann erste Nachrichten in einem Elternchat, heute steht sie auf Bühnen in ganz Bayern und darüber hinaus. Mit ihrem Partner Hubert Galozy vertritt sie das Aktionsbündnis Trassengegner, in dem zahlreiche Bürgerinitiativen zusammenarbeiten. Ihr Credo: für eine dezentrale Energiewende, gegen überdimensionierten Netzausbau.

    Kürzlich haben Sie einen anonymen Brief erhalten. Darin droht man Ihnen, Sie zu jagen und, dass Sie aufpassen sollen, wo Sie sich bewegen. War dies das erste Schreiben dieser Qualität?
    Hamann: Ja, in der Art schon. Auch wenn wir aus den Sozialen Medien einiges gewohnt sind.

    Lässt Sie so ein Schreiben an Ihrem Engagement zweifeln?
    Hamann: Im Gegenteil: Bei so etwas bekomme ich so einen Jetzt-erst recht-Reflex. Es handelt sich schließlich um einen Einzelfall. Wenn ich in der Region von Leuten angesprochen werde, ist das Feedback fast ausschließlich positiv.

    Nicht wenige würden zurückstecken, zumal Ihr Wohnort Weißenbrunn aktuell von keiner Trasse bedroht ist.
    Hamann: Zugegeben, vor zehn Jahren, als unsere Kinder noch kleiner waren, wäre ich deutlich alarmierter gewesen. Ich bin auch jetzt vorsichtig, aber es ist nicht so, dass ich nicht ruhig schlafen kann. Wenn einen dieses Thema gepackt hat, kann man die Finger nicht mehr davon lassen. Ich lese heute alles, was irgendwie mit Energiewirtschaft zu tun hat, obwohl ich damit früher nichts zu schaffen hatte.

    Wie sind Sie denn zu den Trassengegnern geworden, als die man Sie heute kennt? Gab es ein Erweckungserlebnis?
    Hamann: Ein Ereignis war sicher die Veranstaltung des Netzbetreibers Amprion in der Meistersingerhalle Anfang 2014. Damals plante man die Südostpassage, eine Gleichstromtrasse, die quer durch den Landkreis gegangen wäre. Vorbei an Weißenbrunn, mitten durch den Wald, weiter Richtung Hagenhausen und in die Oberpfalz. Ein richtig massiver Eingriff. In Nürnberg wollte Amprion alle Betroffenen auf einmal über den Bau informieren und ihnen mitteilen, dass an den Plänen nicht mehr zu rütteln sei. Diese Art der Kommunikation hat Widerstand provoziert und hat die Leute so aufgeregt, dass ganz schnell jeder Ort seine eigene Bürgerinitiative hatte. Ich habe zunächst nur mit Eltern aus der Schule und dem Sportverein geschrieben, bis plötzlich mehrere vor unserer Tür stan-
    den und meinten, sie hätten gehört, ich möchte eine Bürgerinitiative gründen. Da habe ich erst mal geschluckt, denn das war gar nicht meine Absicht. Aber so nahm die Sache ihren Lauf.

    Der Widerstand gegen eine Trasse ist immer dort am größten, wo sie gebaut werden soll. Ändert sich der Verlauf, schläft der Protest häufig rasch ein. Wie sehr enttäuscht Sie das?
    Hamann: Dafür habe ich vollstes Verständnis. Ich finde, es ist in keiner Weise zu verdammen, dass sich Menschen um das kümmern, was vor ihrer Haustür passiert. Das ist das Normalste der Welt. Was ich vielmehr problematisch finde, ist dieser Nimby-Vorwurf. Der kommt einigen zupass, die gerechtfertigten Protest diffamieren wollen. Trassenbefürworter und Netzbetreiber folgen nur ihren eigenen Interessen, warum sollten das betroffene Anwohner nicht auch dürfen?

    Aktuell konzentrieren Sie sich auf das Verhindern eines zweiten Umspannwerks bei Ludersheim. Ohne Umspannwerk keine Juraleitung und auch keine weitere Leitung. Richtig?
    Hamann: Hier vor Ort steht und fällt alles mit dem Umspannwerk. Mit einem Umspannwerk dieser Monstrosität schafft man einen zentralen Punkt. Die Juraleitung ist dann nur der Anfang. Mit der P482 ist schon die nächste Stromtrasse im Netzentwicklungsplan genannt.


    Wie schätzen Sie Chancen ein, Umspannwerk und Juraleitung noch zu verhindern? Hiesige Landes- und Bundespolitiker haben Sie nicht auf Ihrer Seite.
    Galozy: Wir haben die P44 mod verhindert und auch die Südostpassage, zumindest in ihrer damaligen Form. Und ich glaube, auch ein Herr Dünkel würde drei Kreuze machen, wenn die Juraleitung nicht käme, denn kein Politiker möchte ein solch unangenehmes Thema in seinem Wahlkreis haben. Er kann es halt nicht offen sagen.
    Hamann: Eine Trasse, die noch nicht gebaut ist, kann man auch verhindern. Wir setzen sehr darauf, dass die Leitung nicht bezahlbar sein wird und gespart werden muss.
    Galozy: Der Bundesnetzagentur und auch der bayerischen Wirtschaft geht es beim Strom doch um zwei Punkte: Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Die Kosten sind tatsächlich ein Problem, denn die Trassen werden uns das Zehnfache von dem kosten, was vor zehn Jahren geplant war. Wir stehen bei 320 Milliarden Euro. Das macht Strom teuer! Das Gros der Wirtschaft, der Mittelstand, die Handwerker und die privaten Verbraucher bezahlten 2023 mittlerweile Netzentgelte zwischen 7,42 (Gewerbe) und 9,35 (Haushalte) Cent pro Kilowattstunde. Mit dem aktuellen Netzentwicklungsplan dürfte sich das auf 15 bis 20 Cent mehr als verdoppeln – Tendenz steigend. Das schadet der bayerischen Wirtschaft. Die Versorgungssicherheit hingegen ist gegeben. Die Trassen sollten schließlich zum Atomausstieg fertig sein, bislang gab es lediglich Spatenstiche. Und dennoch ist in Bayern nicht das Licht ausgegangen.


    Die Versorgungssicherheit von heute, aber auch die von morgen? Der Bedarf dürfte schließlich steigen, etwa durch den Ausbau der E-Mobilität.
    Hamann: Nein, tatsächlich nicht. Es gibt Prognosen, nach denen der Bedarf rückläufig zu sein scheint. Durch steigende Energieeffizienz, durch einen höheren Verbrauch selbst produzierten Stroms und weil energieintensive Betriebe abwandern.


    Der Stromverbrauch ging 2022 und 2023 tatsächlich stark zurück. Das Umweltbundesamt führt dies aber auf Sparbemühungen aufgrund des Ukrainekriegs zurück und geht davon aus, dass der Verbrauch künftig steigen wird.
    Hamann:Offizielle Statistiken zeigen langfristige Entwicklungen, an denen man erkennen kann, dass der Bruttostromverbrauch seit 2007 kontinuierlich und deutlich sinkt. Wenn immer vom angeblich hohen Bedarf an Stromleitungen gesprochen wird, kommt oft das Argument, die bräuchte man wegen wachsenden Stromverbrauchs aufgrund von Wämepumpen und E-Autos. Zu folgern, man bräuchte deshalb neue Höchstspannungstrassen wie die Juraleitung, ist aber mehr Volksmund als Wissenschaft. Es finden aufgrund der Energiewende, technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen starke Verschiebungen statt. Einfach ge-
    sagt: An manchen Stellen wächst der Stromverbrauch, an manchen Stellen sinkt er aber eben auch.


    Wenn es nicht die Übertragungsleitungen sind, die zur Energiewende beitragen. Was braucht es dann?


    Hamann: Das System für die Energiewende besteht aus Speichern, Verteilnetzen, Reservekraftwerken und dezentraler Erzeugung. Daran führt kein Weg vorbei. Das Netz, das die Übertragungsnetzbetreiber wollen, ist der Zuckerguss, an dem sie verdienen wollen. Deshalb tun sie so, als bauten sich die Leitungen von selbst und Speicher seien ein Ding der Unmöglichkeit.
    Galozy: Bei Speichern heißt es häufig „zu teuer“ und „sind noch nicht so weit“. Die Netze aber sind noch teurer. Und dass wir sie brauchen, um den Windstrom aus dem Norden in den Süden zu transportieren, ist nicht mehr als ein Marketing-Gag. Wir haben einen Strommix im Netz, da gibt es keinen Filter. Wenn Finnland Atomstrom einspeist, dann kommt bei uns auch Atomstrom an.


    Interview: Christian Geist