Offener Brief: Trassengegner fordern Altmaier zur “Tour de Stromtrassen” auf

    • Offizieller Beitrag

    Offener Brief: Trassengegner fordern Altmaier zur “Tour de Stromtrassen” auf

    Am 22. März 2018 gab Minister Altmaier (CDU) im Bundestag per Regierungserklärung zu Protokoll: „Ich verspreche Ihnen: Wenn ich ein halbes Jahr im Amt bin, werde ich jede problematische Leitung persönlich kennen und besucht haben.“ (S. 1984)

    Das haben zahlreiche Bürgerinitiativen und lokale Politiker an den verschiedensten geplanten Trassen in Deutschland zum Anlass genommen, sich im Bundeswirtschaftsministerium zu melden. Schauen wir doch mal, ob Altmaier sein Versprechen einhält. Die Aussage einer Ministeriumssprecherin: „Ja, es ist richtig, dass der Minister dies gesagt hat. Die Frage möglicher Gespräche zu einzelnen Netzausbauvorhaben vor Ort wird derzeit im Ministerium geprüft, d.h. es wird geschaut, welche Leitungen und Regionen hier besucht werden können.“

    Bei einem Besuch im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin haben wir kürzlich mal nachgehakt, was aus dem Versprechen geworden ist. Zeit nehmen für dieses Thema konnten sich die Vertreterinnen des Bürgerdialogs trotz unserer Vorankündigung nicht. Zugegeben wurde, dass Altmaier sein Versprechen nicht wird einhalten können.

    Nach dem Besuch entwickelte sich ein weiterer Mailwechsel. Wir halten es für sinnvoll, die Vorgänge öffentlich zu machen.



    Sehr geehrter Herr Minister Altmaier,

    sehr geehrte Damen und Herren des Bürgerdialog BMWi,

    in Ihrem Schreiben vom 04.07.2018 finden sich Äußerungen, die das Dilemma des Minister-Versprechens („Ich verspreche Ihnen: Wenn ich ein halbes Jahr im Amt bin, werde ich jede problematische Leitung persönlich kennen und besucht haben.“ Plenarprotokoll 19/23, 22.03.2018) in unseren Augen leider nicht besser machen - im Gegenteil.

    Sie schreiben: "Hinsichtlich Ihres Besuchs im BMWi am 22. Juni stellen wir richtig, dass Ihnen die anwesenden Referentinnen die Übermittlung des Terminplans von Bundesminister Altmaier nicht zugesagt haben."

    Wir haben die Äußerungen beim Besuch im Wirtschaftsministerium anders in Erinnerung – das ist jedoch gar nicht der eigentliche Punkt.

    Die Frage ist, warum Sie noch immer keinen Terminplan für die kommenden Monate offenlegen können und wollen. Dieses Kommunikationsverhalten halten wir für bemerkenswert intransparent. Eine öffentlich wahrnehmbare "Tour de Stromtrassen" wäre zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, der zeigen würde, dass es Herrn Minister Altmaier tatsächlich daran gelegen ist, ein gegebenes Versprechen zumindest in Ansätzen einzulösen. Erkennbar wäre dann auch, dass Sie bereit sind für öffentliche Gesprächstermine nicht nur in Hinterzimmern, die den zahlreichen Betroffenen in den Netzausbaugebieten auch bereitwillig kommuniziert werden. Stattdessen versteigen Sie sich in eine unnötig vehemente Ablehnung, die den Eindruck erweckt, dass die persönlichen Besuche für "jede problematische Leitung" nicht nur nicht eingehalten werden, sondern dass auch die wenigen Besuche, die eventuell stattfinden, möglichst unauffällig vonstattengehen sollen. Das ist bitter und wird von den Menschen vor Ort als sehr negativ wahrgenommen.

    Was natürlich ebenfalls nicht vergessen werden sollte, ist dieses öffentliche Statement von Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium: „Wir werden uns den umstrittenen Projekten vor Ort stellen“. Man wolle „aus der Komfortzone raus gehen“; man organisiere Veranstaltungen, gehe auf die Menschen vor Ort zu, so die Behauptung. Dies ist jedoch nicht wahr.

    Sie schreiben: "Im Übrigen möchten wir nochmals betonen, dass es gesellschaftlicher Konsens ist, die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Strom aus Wind und Sonne wird zunehmend dezentral und teilweise verbrauchsfern erzeugt. Der Strom muss also über weite Strecken von den Stromerzeugern zu den Verbrauchsschwerpunkten im Westen und Süden transportiert werden. Zu bedenken ist auch, dass bis 2022 die deutschen Kernkraftwerke schrittweise außer Betrieb genommen und andere konventionelle Kraftwerke stillgelegt werden. Auch der Ausbau der Stromverbindungen zu unseren europäischen Nachbarn wird immer wichtiger, denn die Energiewende muss europäisch gedacht werden."

    Die Behauptung, es handele sich beim Ausbau des Übertragungsnetzes um eine für die Energiewende alternativlose Maßnahme, halten wir für eine unzulässige Beschönigung. Denn die Fakten sprechen eine deutlich andere Sprache:

    • Das proklamierte Ziel des Wirtschaftsministeriums ist "Netzausbau first" - kein Zubau von EE, solange die Netze nicht so dimensioniert sind, dass sowohl Kohle- und Atomstrom als auch der Strom aus Erneuerbaren möglichst barrierefrei eingespeist und exportiert werden können. Auch war von einer "Relativierung des Einspeisevorrangs" für Erneuerbare die Rede, die vom Ministerium zumindest geprüft werde. Da Kohle- und Atomkraftwerke noch immer ungebremst weiterlaufen dürfen, wird die geltende Vorrangregelung für sauberen Strom zudem auch derzeit häufig nicht in die Praxis umgesetzt.
    • Am 11. Juni 2018 war von Wirtschaftsminister Altmaier in Brüssel zu hören, ein zu schneller Ausbau von Ökostrom und ein Erneuerbaren-Anteil von mehr als 30 Prozent sei unrealistisch und nicht finanzierbar. Am Einsatz des deutschen Wirtschaftsministers wird es wohl kaum gelegen haben, dass man sich dann doch auf mehr EE-Anteile einigen konnte.
    • Die europäischen Klimaziele für 2020 werden von der Bundesregierung nicht eingehalten.
    • Es ist interessant, dass Sie bedenken, dass bis 2022 die Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Aber bedenken Sie auch, dass die ersten Trassen nach neuesten Angaben nicht vor 2028 fertiggestellt sein werden?
    • Der europäische Strom-Mix, für den die großen Übertragungsleitungen gebaut werden, bleibt nach den Plänen der Europäischen Energieunion belegbar bis auf weiteres geprägt von hohen Anteilen an fossil-atomarem Strom. Als Energiewende-Netz kann dies nicht bezeichnet werden.
    • Der Kohleausstieg kommt sichtbar nicht voran, ein baldiges Kohleausstiegs-Datum von Seiten der Bundesregierung existiert nicht oder wird zumindest nicht offengelegt. Stattdessen gibt es durch den Emissionshandel Milliardengeschenke an die Kohle-Lobby auf Kosten der Allgemeinheit.

    Für alle diese Punkte sehen wir keinen gesellschaftlichen Konsens, und sie decken sich nicht mit Ihrem selbst gesetzten Anspruch einer fachgerechten Umsetzung der Energiewende. Vor diesem Hintergrund sind Ihre Sätze im vorliegenden Schreiben nicht nachvollziehbar, denn sie stehen mit der sichtbar vertretenen Linie des Energiewende-Bremsens durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nicht im Einklang.

    Wir stellen fest: Die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern liegt in den von starkem Widerstand gegen den Trassenbau geprägten Regionen weiterhin auf Eis. Kommuniziert wird erkennbar bevorzugt nur mit Betroffenen, die es nicht wagen, den Netzausbau grundsätzlich in Frage zu stellen, und die nicht daran zweifeln, dass der massive Ausbau des Übertragungsnetzes notwendig oder gar ein Teil der Energiewende sei.

    Wir sind deshalb sehr gespannt, ob auch mit kritischen Vertretern der Bürgerinitiativen aus dem bayernweiten Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse ein Dialog gesucht wird.

    Sehr geehrter Herr Minister Altmaier, wir fordern Sie zu einer "Tour de Stromtrassen" auf: Halten Sie Ihr Versprechen, lernen Sie die Menschen an den "problematischen Leitungen" kennen und verschließen Sie nicht länger die Augen vor den vielfältigen Problemen, die mit dem Beginn eines massiven, überdimensionierten Leitungsbaus auf zahlreiche Regionen in Deutschland zukommen würden! Wer Megatrassen bauen will, muss den Bedarf belegen. Die Betroffenen erwarten zu Recht Antworten von Ihnen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Dörte Hamann
    Sprecherin Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse
    Für eine dezentrale Energiewende ohne überdimensionierten Netzausbau!