Offener Brief zum Beitrag im "Spiegel" 09/2015 "Brennende Masten" an den Chefredakteur Florian Harms

  • Brennende Masten Der Spiegel 9/2015
    Sehr geehrter Herr Harms,
    es gab mal eine Zeit, da sang Rio Reiser „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und traf mit dem Text den Nerv der links-alternativen Bewegung, aber auch der Menschen außerhalb dieses Spektrums. Der Song wurde zur Hymne.
    Die Szene war unangepasst, stand mit fast allen Medien auf Kriegsfuß und gründete die taz.
    Damals gab es noch gründlich recherchierende Publikationen wie den „Spiegel“, und den „Stern“. Die deckten Missstände auf und lieferten fundierte Reportagen. Der „Focus“ war noch nicht geboren und so las man sich beim „Spiegel“ durch mehrere Seiten lange Berichte. Aber es lohnte sich, und anschließend war man gut informiert, denn „Spiegel-Leser wussten mehr“.

    Heute stellt sich das anders dar, gesellschaftliche Umbrüche werden von ganz normalen Bürgern erzeugt, die die Initiative ergreifen, Bürgerinitiativen also.
    Das in Deutschland einmalige Aktionsbündnis der Trassengegner ist Zusammenschluss von Bürgern und Politikern aller Ebenen, unabhängigen Wissenschaftlern und Verbänden und viel mehr als eine bloße Bürgerinitiative. Es ist parteiübergreifend und überregional aufgestellt und kämpft gegen die nachhaltige Zerstörung und Gefährdung des Lebensraums von Hunderttausenden von Menschen. Und kämpft für die Bewahrung der Ressourcen für künftige Generationen indem es die dezentrale Energiewende umsetzen will.
    Bringt man nun das Rio Reiser-Lied mit den Aktivitäten in Pegnitz am 31.01.2015 zusammen, ist eigentlich klar, was der brennende Strommast bedeutet: hier soll symbolisch das zerstört werden, was sonst uns zerstört, die Stromtrassen nämlich.

    Wie viel negative mentale Energie muss man aufwenden, um eine solche Symbolik misszuverstehen?
    Wie kann es sein, dass die gelernte Journalistin eines früher mal renommierten Magazins wie dem „Spiegel“ einer Argumentation folgt, die von Menschen, die „nur“ einen gesunden Menschenverstand besitzen, innerhalb kürzester Zeit durchschaut wird?
    Warum hinterfragt Frau Petersohn nicht, wer am Trassenneubau verdient und wer den Bedarf feststellt und was dafür gezahlt wird? 9,05% Garantierendite p. a. auf das beim Bau eingesetzte Kapital sprechen eine deutliche Sprache. Und die wird vom Stromkunden bezahlt, zusätzlich zu den Kosten für den Ausbau selbst.
    Wer zahlt denn die Braunkohlesubventionen oder trägt die EEG-Umlage der befreiten Kohlekraftwerke?
    Diesen Fragen hätten geklärt werden sollen.
    Was verstehen die heutigen Presseleute überhaupt unter dem Begriff „ Recherche“?

    Wenn der „Spiegel“ etwas aufdecken und aufarbeiten will, warum denn nicht den Kniefall von Sigmar Gabriel und anderen Politikern wie Ulrich Freese vor dem schwedischen Ministerpräsidenten, belegt durch ein Schreiben Gabriels mit Eingangsstempel im schwedischen Regierungsbüro? Hier bat Gabriel händeringend um den Erhalt der Vattenfallschen Braunkohletagebaue in der Lausitz, obwohl die Klimaziele in Gefahr sind.

    Die Hintergründe des überdimensionierten Trassenneubaus wurden von den Trassengegnern recherchiert und auch im Energiedialog nicht widerlegt.
    Diese Menschen jetzt zu diffamieren und Horst Seehofer als böswilligen Blockierer hinzustellen ist mehr als abwegig und offenbart das heutige Niveau von Spiegel und Co.

    Ich werde diesen Offenen Brief auch ins Netz stellen.
    Sie dürfen ihn auch selbstverständlich gerne veröffentlichen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Maria Estl